Immer wieder ist zu lesen wie schwer es ist die eigene Mutter zum Arzt-Besuch zu motivieren.
- „Wer über Monate hinweg kürzlich Erlebtes sofort vergisst, sollte sich ärztlich untersuchen lassen.“ Bundesministerium für Gesundheit
- „Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kurzzeitgedächtnis Sie auffällig häufig im Stich lässt, sollten Sie sich Ihrem Hausarzt anvertrauen.“
- „Eine frühzeitige syndromale und ätiologische Diagnostik ist Grundlage der Behandlung und Versorgung von Patienten mit Demenzerkrankungen und deshalb allen Betroffenen zu ermöglichen.“
Die Vorteile einer Diagnostik sind plausibel und nicht von der Hand zu weisen. So wird z.B. im Verlauf der Diagnostik untersucht, ob überhaupt eine Demenz bzw. welche Form der Demenz vorliegt. Mit der Bestätigung der Diagnose können dann möglicherweise medikamentöse Therapien sowie weitere therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden. Häufig bringt eine gestellte Diagnose auch Erleichterung für die Angehörigen. Sie können dann wahrgenommene Veränderungen im Alltag erklären, besonders bei Veränderungen in zwischenmenschlichen Bereichen, und gezielt Beratungsangebote aufsuchen. Es gibt also gute Gründe, die für eine rechtzeitige Diagnostik sprechen. Oft ist es jedoch der Betroffene selbst, der den Arztbesuch zunächst verweigert.
Will denn der Betroffene zum Arzt?
In meinen Kursen „Menschen mit Demenz verstehen lernen“, eine kostenlose Leistung der Pflegekasse zur Unterstützung pflegender Angehöriger, erfrage ich zu Beginn Wünsche und Erwartungen, die an den Kurs gestellt werden. Nahezu in jedem Kurs wird die Frage gestellt:“ Und wie kriege ich meinen Angehörigen zum Arzt?“, oder im Verlauf kommt es zu folgender Bemerkung: „Und jetzt sagen Sie mir mal, wie ich meinen Angehörigen zum Arzt bekomme!“. Vorgeschobene Gründe wie z.B. eine Blutkontrolle oder eine Routineuntersuchung können den Arztkontakt erleichtern, sind aber nicht immer von erfolgversprechend.
Es gibt kein Patentrezept!
Meines Erachtens gelingt die Begleitung auf dem Weg zur Diagnosestellung am besten über Verständnis und Vertrauen. Zunächst sollte jedoch auch die Frage aufgeworfen werden, ob denn wirklich jeder Mensch mit dementiellen Veränderungen zum Arzt muss? Haben die Betroffenen nicht auch ein Recht auf Selbstbestimmung? Haben sie nicht auch ein Recht darauf, eine Untersuchung mit anschließender Behandlung zu verweigern? So schwer diese Entscheidung für Angehörige auch auszuhalten und mitzutragen ist, so ist sie m.E. doch eine Überlegung wert.
Warum ist das Verständnis so wesentlich? Es ist wichtig zu wissen, dass die Betroffenen selbst bereits Veränderungen der Gedächtnisleistung bei sich feststellen, bevor das Umfeld diese bemerkt! Das bedeutet für die Betroffenen eine zunehmende Auseinandersetzung mit Verlusten, größer werdenden Unsicherheiten und sinkendem Selbstwert. Bis auf wenige Ausnahmen ist es für Betroffene von großer Bedeutung, dass diese Veränderungen zunächst niemand bemerkt. Auf Verhaltensänderungen angesprochen, werden diese meist massiv verleugnet. Warum ist das so? Was bedeuten diese Veränderungen für Betroffene? Was macht das mit ihnen? Mit welchen Gefühlen setzt sie sich auseinander? Können sie die Diagnose Demenz an sich heranlassen oder weigern sie sich, um sich selber zu schützen? Diesen Fragen muss nachgegangen werden, was wiederum Auswirkungen auf das Verhalten und Verständnis der Angehörigen haben wird.
Was kann also getan werden?
An diesem Punkt setzen meine Angebote, Schulung und Beratung für Begleitpersonen, an. Wachsendes Verständnis und eine entsprechende Haltung können dann die individuelle Antwort auf die eingangs gestellte Frage „Wie kriege ich meine Mutter zum Arzt?“ ermöglichen. Indem ich eine wertschätzende Haltung einnehme, mit Verständnis auf die Betroffene zugehe, ihre Selbstbestimmung akzeptiere, Vertrauen aufbaue, Druck vermeide, und nicht aufgebe, immer wieder Unterstützungsangebote wie z.B. Hilfe und Begleitung beim Arztbesuch in Ruhe anbiete, wohl wissend, dass ein längerer Weg vor mir liegt.